Spinnwirtel im archäologischen Fundmaterial von Siedlungen – Ein Hinweis auf lokale Textilproduktion?

Textilien kaufen wir in der heutigen Zeit entweder in Chain-Stores  oder ganz bequem im Internet. Diese werden aber hauptsächlich in großer Entfernung hergestellt, so dass wir die Produktionsbedingungen gar nicht mehr wahrnehmen.

Wenn wir in die archäologische Forschung schauen, dann zeigt sich anhand entsprechender Funde, dass Spinnen und Textilhandwerk Alltag waren. Archäologen können dies beispielsweise belegen, wenn sich Spinnwirtel oder Webgewichte im Fundmaterial von Siedlungsgrabungen finden.

Bei einem Spinnwirtel handelt es sich um das bei der Handspinnerei verwendete Schwunggewicht, welches am unteren Ende einer Handspindel sitzt. Spinnwirtel finden sich im archäologischen Fundmaterial des Neolithikums genauso wie in dem der Bronzezeit, der Eisenzeit, der Römerzeit und natürlich im gesamten Mittelalter. Mit dem Aufkommen des handbetriebenen Spinnrades im 13. Jahrhundert kommen Handspindeln – und somit auch die Spinnwirtel – nach und nach außer Gebrauch.

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Hinweise auf Textilherstellung in abgegangenen Siedlungen: Oberflächenfunde von Spinnwirteln aus Ton und Knochen (Foto: Biggi Schroeder)

Auch im Fundmaterial der von mir regelmäßig begangenen mittelalterlichen Wüstungen finden sich häufiger Spinnwirtel. Etwas problematisch ist es, die genauere Zeitstellung der Wirtel zu ermitteln. Da diese als  Lesefunde geborgen wurden, ist eine genauere Datierung oft nicht möglich. Dies gilt vor allem dann, wenn sie keine besonderen Merkmale – wie etwa Verzierungen oder spezielle Formen – aufweisen. Bei einer archäologischen Grabung wäre das anders, denn hier hätte man die Möglichkeit einer Datierung in einen Kontext zu Beifunden oder über die Stratigraphie.

Vom Material her gab es Spinnwirtel aus Stein, Ton, Glas, Knochen und Metall. Was die Form betrifft, so waren kegelförmige, scheibenförmige, halbkugelige, doppelkonische oder runde Formen beliebt.

Ich möchte nachfolgend vier Spinnwirtel aus dem Fundmaterial meiner Wüstungen einzeln  vorstellen. Zur besseren Visialisierung habe ich, zusätzlich zu den Fotos, noch einige Zeichnungen im Maßstab 1:1 angefertigt.

Spinnwirtel aus Knochen (halbkugelig)

Der Spinnwirtel aus Knochen ist ohne jede Verzierung. Eine Besonderheit zeigt sich bei Lochbohrung: Dieses ist nicht komplett durchgängig. An der Unterseite beträgt die Tiefe der Bohrung 1,2 cm und an der Oberseite 0,4 cm. Denkbar wäre, dass es sich hierbei um einen misslungener Versuch handelt.

Von seiner Form her ist der Spinnwirtel halbkugelig. Er hat einen Durchmesser von 3,6 cm und ist an der höchsten Stelle 1,8 cm hoch.


Spinnwirtel aus Ton (rund)

Der Spinnwirtel ist an der Oberfläche grau-blau und im Kern grau. Der Ton ist teils mit weißen Partikeln (Quarzsand?) und mit kleinen schwarzen Partikeln gemagert und wurde mittelhart gebrannt.

Von seiner Form her ist der Spinnwirtel rund. Er hat einen Durchmesser von 3,5 cm und eine Höhe von 1,9 cm.


Spinnwirtel aus Ton (kegelförmig)

Der nicht komplett erhaltene Spinnwirtel ist an der Oberfläche und im Kern grau. Der Ton ist teils mit weißen Partikeln (Quarzsand?) gemagert und mittelhart gebrannt.

Von seiner Form her ist der Spinnwirtel kegelförmig. Er hat einen Durchmesser von 2,5 cm und ist 2,0 cm hoch.


Spinnwirtel aus Ton (doppelkonisch)

Der Spinnwirtel ist an der Oberfläche dunkelgrau und relativ gut geglättet. Er ist mittelhart gebrannt.

Von seiner Form her ist der Spinnwirtel asymetrich doppelkonisch. Ober- und Unterseite sind nicht gekehlt sondern flach.  Er hat an der breitesten Stelle einen Durchmesser von 2,5 cm und ist 1,5 cm hoch.

 

Literaturhinweise:

Die nachfolgenden Publikationen sind im Intenet als PDF abrufbar:

Karina Grömer, 2006: Vom Spinnen und Weben, Flechten und Zwirnen. Hinweise zur neolithischen Textiltechnik an Österreichischen Fundstellen. Archäologie Österreichs 17/2, 2006

W. Haio Zimmermann, 1982: Archäologische Befunde frühmittelalterlicher Webhäuser. Jahrbuch der Männer vom Morgenstern 61, 111-144, Bremerhaven, 1982

 

„Land unter“ – Historische Hochwassermarken im Hessischen Ried

Ein Blick in die Siedlungsgeschichte und in die historischen Wetterdaten des Hessischen Ried zeigt uns, das der Kampf gegen Hochwasser in dieser Gegend eine lange geschichtliche Tradition hat. Neben zahlreichen Rheinüberflutungen hatten die rheinnahen Ortschaften besonders in den Jahren 1651, 1784 und 1845 unter extremem Hochwasser zu leiden. Eines der schlimmsten Hochwässer ereignete sich zum Jahreswechsel 1882/83 – also quasi in der Neujahrsnacht.

Um die historischen Hochwasserstände sichtbar zu machen, wurden in vielen der betroffenen Ortschaften an Gebäuden sogenannte „Hochwassermarken“ angebracht. Nachfolgend stelle ich einige Beispiele aus meinem Nachforschungsgebiet vor.

Die Alte Mühle in Wallerstädten

Die im Jahr 1619 erbaute Wassermühle in Wallerstädten liegt als einziges Gebäude auf der nördlichen Seite des Landgrabens. Die idyllische Lage kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hier zu Hochwasserzeiten im wahrsten Sinne „Land unter“ war. Die Markierungen am roten Sandsteinbogen der Eingangstür zeugen noch heute davon.

Alte Mühle, Wallerstädten
Alte Mühle in Wallerstädten (links) mit Blick auf den Landgraben (Foto: Biggi Schroeder)
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Die Hochwassermarken der Extremjahre 1784 und 1883 (Foto: Biggi Schroeder)
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In der Mitte des Fotos ist der rote Sandsteinbogen mit den Hochwassermarken zu sehen (Foto: Biggi Schroeder)

Der Bensheimer-Hof in Leeheim

Der Bensheimer-Hof in Leeheim hat eine sehr interessante und wechselvolle Siedlungsgeschichte, in welcher auch das Hochwasser über die Jahrhunderte immer wieder eine Rolle spielte. Es war quasi eine Landbewirtschaftung „auf nassem Grund“. Das Hochwasser von 1883 wurde für Leeheim  zu einem der schlimmsten der Historie: Ganze 1.440 Hektar einer Gesamtfläche von 1.475 Hektar wurden überflutet. 

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Der Bensheimer-Hof in Leeheim (Foto: Biggi Schroeder)
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Hochwassermarke am Sandsteintor des Bensheimer-Hofes (Foto: Biggi Schroeder)

Die Dietrich-Bonhoeffer-Kirche in Geinsheim

Die Baugeschichte der Dietrich-Bonhoeffer Kirche in Geinsheim ist untrennbar mit dem Jahrhunderthochwasser der Neujahrsnacht 1882/83 verbunden. Nach der Grundsteinlegung am 30. Mai 1882 wurden in Rekordzeit bis Jahresende die Turm- und Kirchenmauern errichtet und auch die Dacharbeiten waren weitgehend abgeschlossen. Der Rhein hatte zu diesem Zeitpunkt bereits den höchsten Stand des Jahrhunderts erreicht und am 29. Dezember 1882 brachen die Dämme. Eine Hochwassermarke vom 3. Januar 1883 an der Stützmauer des Chorbereiches erinnert noch heute an dieses Jahrhunderthochwasser.

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Dietrich-Bonhoeffer Kirche in Geinsheim (Foto: Biggi Schroeder)
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Hochwassermarken an der Stützmauer des Chorbereichs (Foto: Biggi Schroeder)

Fischergasse 21 a in Trebur

In der Fischergasse 21 a befinden sich an einem modernen Garagengebäude zwei Hochwassermarken. Die Garage liegt unmittelbar am Schwarzbachdamm.

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Der Schwarzbach in Trebur in der Nähe der Fischergasse (Foto: Biggi Schroeder)
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Die Hochwassermarken der Jahre 1784 und 1883 an einer Garage in der Fischergasse 21a  (Foto: Biggi Schroeder)