Anfassen erwünscht! Eine Keramik-Bestimmungsübung an der Uni Heidelberg

Die Bestimmung von Keramik gehört mit zu den wichtigsten Aspekten der praktischen Arbeit eines archäologischen Wissenschaftlers. Daher sind Bestimmungsübungen beim Studium der archäologischen Fächer auch ein Teil der Lehrveranstaltungen an den Universitäten.

Rainer Schreg, der z.Zt. eine Vertretungsprofessur für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Heidelberg inne hat, kam auf die Idee, dass ich meine mittelalterlichen Keramikfunde als Anschauungsmaterial für die Studenten zu Verfügung stellen könnte. Ich war begeistert von dieser Idee, und so trafen wir uns schließlich am 09. Juli mit einer Gruppe von 8 Studenten der Vor- und Frühgeschichte im Übungsraum des „Haus zum Riesen“ in Heidelberg. Die Vorbereitungen waren schnell erledigt: 4 zusammengeschobene Tische dienten als Präsentationsplattform für ca. 30 repräsentativ ausgewählte Keramikfragmente, welche unterschiedlichen mittelalterlichen Warenarten angehörten.

Rainer Schreg mit Studenten der Vor- und Frühgeschichte der Uni Heidelberg bei der Keramiksichtung
Rainer Schreg mit Studenten der Vor- und Frühgeschichte der Uni Heidelberg bei der Keramiksichtung (Foto: B. Schroeder)

Im Rahmen der Session sollten die Studenten zunächst die Funde anschauen und vor allem auch anfassen, um so erste Ideen für eine typologische Einordnung entwickeln zu können. Die nächste Aufgabe bestand darin, die Keramik nach formalen und technischen Merkmalen zu sortieren, also nach Warenarten zu ordnen. Diese gar nicht so einfache Aufgabe gelang den Studierenden erstaunlich gut. Der 3. Part bestand darin, sich je ein Keramikstück herauszusuchen und dieses so genau wie möglich zu beschreiben. Gefragt war die Beschreibung der Scherbenbeschaffenheit sowie (falls ersichtlich) auch der formalen Kriterien. Erlernt wurden dadurch Materialkenntnis, Sehen und Fühlen, die Differenzierung von Warenarten, Herstellungsmerkmale, formale Beschreibung sowie die Beschreibung von Magerungspartikeln, die nicht immer der mineralogischen Terminologie folgt.

Was anschließend folgte, habe ich mit großer Spannung erwartet: Die zuvor von den Studierenden ausführlich beschriebenen Funde wurden nun mit einem digitalen Mikroskop betrachtet. Es stellt eine sehr gute Alternative zur herkömmlichen Lupe dar, denn es ist nicht nur eine vielfach bessere Vergrößerung möglich, sondern man kann das Bild auch digital dokumentieren und mit einem Maßstab versehen.

Fragment 3
Oberfläche einer Steinzeug-Bodenscherbe unter dem digitalen Mikroskop mit teilweise aufgeschmolzenen Magerungspartikeln (Foto: R. Schreg)

Bei der Betrachtung der Fundstücke legte Rainer Schreg das Augenmerk auf die Bruchstelle und die Oberfläche des Scherbens. Voraussetzung für eine gelungene Aufnahme ist es, eine möglichst ebene Fläche zu betrachten. Dies ermöglicht es uns, die Magerung des Scherbens sehr genau anzuschauen. Vor allem konnte man aber auch Spuren von Inhaltsresten, wie etwa Kesselstein an einem der Scherben, erkennen.

Merowingerzeitliche Knickwandkeramik mit Anhafungen von Kesselstein
Merowingerzeitliche Knickwandkeramik mit Anhaftungen von Kesselstein (Foto: R. Schreg)

Bei einer anderen Scherbe konnte Rainer Schreg einen Hohlraum ausmachen, der vermutlich einmal etwas Organisches, wie etwa ein Getreidekorn bzw. einen Spelz, enthalten hatte. Die Stelle war quasi „ausgewaschen“ und ist daher nur noch als Hohlraum sichtbar. Würde man diesen Hohlraum mit flüssigem Latex ausfüllen, so könnte man u.U. einen recht guten Abdruck von diesem ehemaligen organischen Bestandteil erhalten, der wohl Teil der Magerung des Tones oder einfach eine Verunreinigung war.

Bei einer Randscherbe der Badorfer Ware werden die ausgewitterten Partikel in der Mikroanalyse sichtbar
Bei einer Randscherbe der Badorfer Ware werden die ausgewitterten Partikel in der Mikroanalyse sichtbar (Foto: R. Schreg)

Zum Abschluss sahen wir uns dann noch gemeinsam einige der Funde an, die ich bislang unter unbestimmt eingeordnet hatte und die noch einer Autopsie bedurften.

Tipp: Rainer Schreg hat auf seinem Wissenschaftsblog Archaeologik einen höchst interessanten Beitrag zum Thema „Gebrauchsspuren an Keramik“ publiziert: http://archaeologik.blogspot.de/2012/08/gebrauchsspuren-keramik.html
Sehr zu empfehlen ist auch sein Blogbeitrag vom 21. Juli 2015 über die laufende Neubearbeitung seiner Publikation „Keramik aus Südwestdeutschland“: http://archaeologik.blogspot.de/2015/07/keramik-aus-sudwestdeutschland-laufende.html

Mein Fazit: Ein absolut spannendes Projekt welches wieder einmal zeigt, wie sinnvoll und vor allem fruchtbar eine Zusammenarbeit zwischen den Wissenschaftlern und uns Ehrenamtlichen sein kann. Mein Dank geht speziell an Rainer, der diese Idee hatte. Ich freue mich auf eine Fortsetzung unserer Kooperation im Sinne der Wissenschaft…